Bei Mastodon fragte jemand, warum Leute Rollenspiele leiten. Ich habe da bisher nie wirklich drüber nachgedacht, nehme es aber als Anstoß, genau das zu tun.
Es begann mit Cthulhu
Das erste Mal habe ich Ende der 90er geleitet, es war das aus dem Cthulhu-Regelbuch stammende The Haunting. Ich erinnere mich noch genau, dass ich ziemlich unter Strom und Stress stand, weil es gefühlt so viele Regeln gab, von denen ich dachte, ich müsste sie alle auswendig können. Die Runde war ein voller Erfolg, ein Spieler wippte auf seinem Stuhl vor und zurück – und alle schrien auf, als ich von unten mit dem Fuß gegen den Tisch trat. Haha. Danach lernte ich auch gleich in der nächsten Runde, dass nicht jedes Mal eine geniale Atmosphäre erzeugt werden kann. Und dass es frustrierend sein kann, wenn jemand durch einen willkürlichen Würfelwurf der Spielleitung einfach so stirbt – weil, die Würfel haben es gesagt. Okay, mit einem Patzer in einen Schoggo zu stolpern, ist ziemlich risikobehaftet, ich würde so einen Wurf aber nie wieder würfeln lassen, wenn er keine wirkliche Bedeutung für die Geschichte hat.
Ich leitete daran anschließend nicht mehr soo viel, und war überwiegend als Spieler unterwegs, aber ein Oneshot Teenagers From Outer Space, CyberGeneration und vor einigen Jahren eine Rollenspiel-Kampagne mit Werwolf-Thematik wurden es noch. Die letztgenannte Kampagne soll als Basis für meine Antwort auf die implizite Frage dienen, warum ich (auch) Rollenspiele leite. Oder auch: Warum hab ich eigentlich die ganzen Jahre über nicht (mehr) geleitet?
Immer in Erinnerung: Die Spielenden in einer CyberGeneration-Runde bekamen in quälender Langsamkeit mit, wie eine implantierte Mikrobombe den Oberkörper einer anderen Yo-Gangerin (Nebenfigur) wie in Superzeitlupe zerfetzte. Das war ein schnell improvisiertes Detail, auf das ich in so weit stolz bin, dass ich die Mitspielenden alle emotional sehr mitnehmen konnte.
Was gefällt mir am Spielleiten?
Wie in der Einleitung geschrieben, habe ich da bisher nie wirklich drüber nachgedacht. Gründe von anderen Menschen habe ich natürlich mal gelesen: Erschaffe gern eine Welt oder stelle sie dar; lerne gern Regelwerke und wende sie an; erzähle gern Geschichten; … Finde ich mich da wieder? Überwiegend nein. Ich erschaffe nicht gern (umfangreiche) Welten und ich hasse es, umfangreichere Regelwerke zu lernen. Dennoch: Geschichten erzählen ist für mich in der Gruppe das Beste!
Rollenspiel ist sozial – ich liebe es
Ich mag das soziale Zusammensein und das Miteinander, das gemeinsame Ergebnis, die resultierende Geschichte. Das alles inspiriert mich und kitzelt mein Hirn auf die beste Weise. Ich mag es auch total, später über eine vergangene Rollenspielrunde zu sprechen, mich an Details zu erinnern, es gemeinsam im Kopf quasi nochmals zu erleben.
Die Spielregeln stehen mir nicht im Weg – wenn ich weise wähle
Ich bin Narrativist, keine Frage. Mir ist jedoch bewusst, dass viele Menschen ein Mindestmaß an Regeln brauchen (abseits von den „inhärenten Regeln des Settings bzw. der Welt an sich“, die verlässlich sein sollten) – besonders, wenn sie mit „traditionellen“ Regelwerken ins Hobby gekommen sind. Mein erstes, augenöffnendes Regelwerk war Freeform Universal (FU), aktuell ist es Tunnel Goons. Für mich ist das Rollenspiel wichtiger als Simulation oder das Gewinnen gegen das Regelwerk, ich spiele weder ein Brett- noch ein Computerspiel. Ich möchte soziale Interaktion mit minimalen Regeln, die mich nicht aufhalten oder nerven.
Ich hab anderthalb Jahre lang mit FU eine Kampagne für zwei Mitspielende geleitet, es hat wunderbar funktioniert. Dabei hat FU nicht mal ein Erfahrungspunktesystem – WAS! DER! FACK!
Die Spielenden stehen mir nicht im Weg – wenn ich weise wähle
Mit ausschließlichen Gamist:innen oder Simulationist:innen spiele ich einfach nicht mehr in Spielen, die ich anbiete. Das macht auch Sinn, denn es sorgt sonst mit den Regelwerken, die ich verwende, nur für Reibungen, nicht erfüllte Erwartungen und Frust. Rollenspiel ist mein Hobby, ich gestalte es mir so, dass es mir Spaß macht.
Zum Glück fühle ich keinen sozialen oder inneren Druck, mir irgendeine Runde suchen zu müssen, damit ich zu Hause nicht vereinsame. Ich hab vor einer Weile in einem lokalen Spielcafé einfach mal einen Zettel aufgehängt und meine Vorstellungen publik gemacht. Ein netter Typ wollte mir Shadowrun 5/6 mit einer mehrstündigen Figurenerstellung so regeleinfach wie möglich umbiegen – nein, danke. Dann meldete sich jemand, der FATE leiten möchte – ja, bitte. Demnächst gibt es eine Runde 0, um zu schauen.
Ich suche mir nicht nur Menschen als Spieler:innen-Typen aus, auch menschlich muss es passen. Ich möchte regelmäßig mit Leuten spielen, die mir wohlwollend gesonnen sind – und umgekehrt.
Die Spielenden tun interessante Dinge
Das kann man so oder so interpretieren, bei mir ist es positiv aufgeladen. Wenn ich die Grundlagen des Settings bzw. des Abenteuers drauf habe und eine offene Haltung habe, dann sind die überaschenden Wege der Spielenden eine tolle Sache. Ich bereite immer zwei bis drei kurze Aufhänger vor, einer davon bezieht sich auf den aktuellen Handlungsstrang. Ich kann durch mein Wissen oder meine „Abenteuerimprovisationslust“ ohne Probleme anknüpfen und ranflanschen. Das macht Spaß.
Was macht(e) mir am Spielleiten Sorge oder Angst?
Ich habe lange Sorge gehabt, dass ich das mit dem Spielleiten aus verschiedenen Gründen nicht schaffen würde. Ich hatte früher kein ausgeprägtes Selbstvertrauen, fand die Regelwerke, die ich hatte, viel zu umfangreich und komplex und war sozial eher schüchtern. Ich hatte Selbstzweifel. Da war noch mehr, aber den Sturz in den Kaninchenbau erspare ich euch und mir.
Wie fand ich (wieder) Freude am Spielleiten?
Ich habe die Schwelle(n) so niedrig wie möglich gestaltet.
Wenige Regeln
Ein für mich wichtiges Element war: Ich hatte mit Freeform Universal (FU) ein einfaches, universelles Rollenspielregelwerk gefunden, das mir sehr zusagte. Wenig bis keine Zahlen, Wörter als Attribute, die Spielleitung würfelt nicht. Im Vergleich zu Spielen wie Cthulhu oder Pathfinder war viel weniger zu lernen und zu behalten.
Neben weniger Lernarbeit brauche ich einfach keine umfangreichen Regelwerke. Ich spiele eine Rolle und kein Brettspiel. Ein Mindestmaß an Regeln ist für viele Menschen wichtig, ich kann auch mit ein paar Stichwörtern und gesundem Menschenverstand erfüllend spielen.
Wenig Vorbereitung und nicht zu detailliert planen
Wir begannen mit einem Oneshot, den ich mir ausgedacht hatte. Darauf hatte ich schon einiges an Recherche und Hirnschmalz verwendet, dennoch versuchte ich, die Angelegenheit für mich so einfach wie möglich zu halten. Von dem Oneshot aus spielten wir weiter und ich merkte, wie die Vorbereitung für mich gut funktionierte. Ich hatte für die kommende Spielsitzung immer drei Aufhänger in Stichwortform dabei: Wie geht es mit dem aktuellen Handlungsstrang weiter und wie mit zwei Nebensträngen, die wir bespielen konnten, wenn wir wollten oder es sich anbot.
Prep situations, not plots.
Ich muss wissen, wohin es gehen soll, aber nicht, welche myriaden Wege die Spielenden potenziell gehen könnten. Ich muss genug wissen, damit ich mir im Zweifel etwas ausdenken kann, womit ich zuvor nicht gerechnet hatte. Das entlastet mich ungemein.
Kleine Spielgruppe
Ich habe anderthalb Jahre, alle zwei Wochen, für zwei Mitspielende geleitet und das war super. Meine maximale Anzahl für Mitspielende ist inzwischen vier, drei finde ich aber fast noch besser. Es gibt weniger Wartezeit, mehr Interaktion. Neulich habe ich beim AKF in Kiel (siehe weiter unten) in einer Runde mit sechs Mitspielenden mitgemacht und wir kämpften gegen 6 Leute. Das. war. schnell. langweilig. Ich leite nur noch für maximal 4 Spielende. Punkt.
Fazit?
Habt Spaß, das ist das Wichtigste – wirklich.
Es gibt noch keine Kommentare – schreib doch einen!